
Jugend redet bei „Forever Young?“ ein Wörtchen mit
Nachwuchspolitiker der Verbandsgemeinde Simmern-Rheinböllen nehmen Integrationspolitik aufs Korn –
Filmschaffende zu Gast bei HEIMAT EUROPA Filmfestspielen
Simmern. Die HEIMAT EUROPA Filmfestspiele stehen in diesem Jahr unter dem Motto „Forever Young“, das vom Kultursommer Rheinland-Pfalz ausgegeben wurde. Demzufolge finden sich im Festspielprogramm entsprechende Filme, die sich mit Jugend, mit dem Heranwachsen, mit den Problemen der jungen Leute von heute befassen. Doch im Pro-Winzkino denkt man bekanntlich auch immer ein Stück weiter und erweitert das Angebot. Zunächst wurde angesichts des Mottos erstmals eine Jugendjury ins Leben gerufen, die ihre ganz eigene Sicht auf die Wettbewerbsfilme wirft und am Ende einen eigenen Siegerfilm küren wird – jenseits der „Edgar“-Prämierung der zwölf Wettbewerbsfilme durch Jurorin Jasmin Tabatabai. Doch die deutsch-iranische Schauspielerin hätte sicher auch bestens in die Runde gepasst, die sich nun im großen Kinosaal vor der Leinwand versammelte, nachdem der Film NOCH LANGE KEINE LIPIZZANER gezeigt worden war. Darin schildert Olga Kosanovic ihre Erlebnisse rund um ihre Einbürgerung in Österreich. Sie ist zwar in Österreich aufgewachsen und lebt seit 30 Jahren dort, aber die Staatsbürgerschaft wurde ihr bislang verweigert. Als sie im Internet auf ihre Schwierigkeiten aufmerksam macht, kriegt sie einen bitterbösen anonymen Hass-Kommentar: „Wenn eine Katze in der Hofreitschule Junge wirft, sind das noch lange keine Lipizzaner“. Daraus ist dann der Film entstanden, in dem Olga ihre eigene Situation beschreibt und all die Skurrilitäten, die ihr bei ihrem Bemühen, die Staatsbürgerschaft in Österreich zu erlangen, widerfahren.

Das Jugendparlament Simmern-Rheinböllen hatte daraufhin eine Gesprächsrunde organisiert, in der die Problematik und die Situation in Deutschland erörtert wurden. Moderiert vom Vorsitzenden des Jugendparlaments, Jannis Kaack, berichteten einige Podiumsteilnehmer, dass ihnen die Erlebnisse von Olga Kosanovic recht bekannt vorgekommen seien und dass sie unterschiedlich lange auf ihre Einbürgerung hätten warten müssen. Zunächst stellte sich Gerd Langenberg, Ehrengeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes vor und sagte: „Eine Frage bleibt: Wie sähe denn die Lösung aus?“ Er hätte sich im Film eine stärkere Betonung des europäischen Elements gewünscht.
Umut Kurt, Mitglied im Kreistag Rhein-Hunsrück und Vorsitzender des Integrationsbeirats des Rhein-Hunsrück-Kreises, sprach von einem „extrem aufgeheizten“ Thema. „Ich hatte 18 Jahre meines Lebens keinen deutschen Pass“, bekannte er. Er habe sich seinerzeit vor der Einbürgerung entscheiden müssen, seine türkische Staatsbürgerschaft abzugeben. Dies habe die Ampelregierung glücklicherweise abgeschafft, sodass heute eine doppelte Staatsbürgerschaft möglich sei. „Ich habe mich mehrmals in dem Film widergefunden“, sagte Kurt. Das galt auch für Miguel Vicente, Integrationsbeauftragter des Landes Rheinland-Pfalz. Anders als Kurt habe er bei seiner Einbürgerung in Deutschland seine spanische Staatsbürgerschaft behalten können. Die doppelte Staatsangehörigkeit sei zeitgemäßer, gleichwohl seien aber viele Voraussetzungen zu erfüllen, wenn man als ausländischer Mitbürger die deutsche Staatsangehörigkeit erlangen wolle.

Spiegel-Bestseller-Autor Stève Hiobl berichtete, dass bei ihm die Einbürgerung 13 Jahre gedauert habe. Der in Kamerun geborene nennt sich selbst „Afrofluencer“ und erzählte im Kinosaal, dass er sich häufig mit Themen beschäftige wie „Schwarzer Mann in Deutschland“.
Es entwickelte sich eine lebhafte Diskussion darüber, wie die Integrationsproblematik besser in den Griff zu bekommen sei. Dabei kam auch zur Sprache, dass Deutschland noch bis zum Jahr 2000 weltweit zu den Ländern gehört habe, in denen die Erlangung der Staatsbürgerschaft am restriktivsten gehandhabt werde. In der Folge wurde verschiedene Vorschläge in die Diskussion eingebracht und diskutiert, wie sich die Situation verbessern ließe.
Von der schwierigen Suche nach Identität
Weniger um solch konkrete Aspekte, sondern vielmehr um die Suche nach Liebe, Freundschaft und der Suche nach sich selbst und der eigenen Identität ging es in dem Film NINJA MOTHERF*CKING DESTRUCTION der 1998 in Berlin geborenen Regisseurin Lotta Schwerk, die nach Simmern gekommen war und ihren Kameramann Fion Mutert mitgebracht hatte. Nach der Filmvorführung im kleinen Kinosaal stand sie den Fragen von Festspiel-Kurator Janis Kuhnert Rede und Antwort und erzählte im Dialog mit dem Publikum Details zur Entstehung zu ihrem Film, in dem Leonie mit ihren beiden Freundinnen ein fortwährendes Auf und Ab erlebt zwischen Berlin und einem kleinen Dorf in Brandenburg.

Über acht Jahre zog sich die die Entstehung des Films hin, jedes Jahr sei ein Stück hinzugekommen, erzählt Lotta Schwerk. Ausgestattet mit einem Minimalbudget entstand am Ende ein Film, in dem die drei jungen Frauen ihre unterschiedlichen Wege in ihr jeweiliges Leben finden. Am Ende erreicht Leonie noch kein bestimmtes Ziel, hat aber die Erkenntnis gewonnen, immer weiterzugehen. Bei den HEIMAT EUROPA Filmfestspielen gehörte Lotta Schwerks Film zum Wettbewerbsprogramm, auch bei anderen Filmfestivals sei ihr Film bereits gezeigt worden. Nun freut sich die Regisseurin darüber, einen Verleih gefunden zu haben und dass ihr Film bald in die Programme der Kinos aufgenommen werden kann. Es sind solche Filmgespräche und Diskussionen, die den Besucher der HEIMAT EUROPA Filmfestspiele einen Mehrwert bieten, der über das normale Zeigen eines Films hinausgeht.
Programmheft
Hier finden Sie das Programmheft als PDF zum Herunterladen und Planen – mit allen Veranstaltungen auf einen Blick:
Kalender 2025
Events 2025
Begleitet wird das diesjährige Filmprogramm wie immer durch Konzerte, Lesungen, Publikumsgespräche und Kulinarik:
HEIMAT EUROPA Filmfestspiele starten glanzvoll
Regisseur und Schirmherr Edgar Reitz stürmisch gefeiert –
Standing Ovation nach dem Eröffnungsfilm LEIBNIZ – CHRONIK EINES VERSCHOLLENEN BILDES
Simmern. Einen in jeder Hinsicht wahrlich gelungenen Eröffnungsabend erlebten die siebten HEIMAT EUROPA Filmfestspiele am Freitag auf dem Fruchtmarkt in Simmern. Das vielköpfige Team vom Pro-Winzkino und die Stadt Simmern konnten am Ende nicht zufriedener sein. Nach monatelanger Vorbereitungszeit erfüllte sich zunächst eine der Hauptbedingungen für einen gelungenen Start in das zweiwöchige Filmfestival: Das Wetter bescherte allen Mitwirkenden und den mehr als 300 Zuschauern auf dem Platz vor der Stephanskirche eine jener lauen Sommernächte, die es für eine Veranstaltung, die ihr Flair erst unter freiem Himmel voll entfaltet, einfach braucht. „Ein solches Festival ist für uns als kleine Stadt schon eine große Sache“, sagte Stadtbürgermeister Andreas Nikolay. Dass der Auftakt an diesem Abend wirklich „groß“ werden würde, hatten die Verantwortlichen zwar gehofft, doch von einer solchen Intensität des Dargebotenen und einer derart riesigen Begeisterung hatten wohl nur die eingefleischten Optimisten zu träumen gewagt.

In erster Linie lag es an dem besonderen Ehrengast, der einmal mehr der kleinen Stadt Simmern einen Besuch abstattete, der Stadt, die ihn 2002 zum Ehrenbürger ernannt hatte – und der der 92-jährige Filmemacher nicht nur mit seinen „Heimat“-Werken etwas zurückgegeben hat, das für Simmern von unschätzbarem Wert ist. Auch dass er den nach ihm benannten Filmpreis „Edgar“ ins Leben gerufen hat, zeigt die enge Verzahnung dieser Filmfestspiele mit dem in Morbach/Hunsrück geborenen Regisseur. Edgar Reitz hat die Filmfestspiele in Simmern entscheidend mit auf den Weg gebracht, ist auch bei der siebten Auflage wieder Schirmherr und stand am Eröffnungswochenende stets im Mittelpunkt des Geschehens. Bis wenige Tage vor dem Festival blieb offen, ob der betagte Filmemacher die lange Reise von München in den Hunsrück antreten würde. Nachdem dann die endgültige Zusage kam, lag eine besondere Spannung in der Luft. Die war förmlich greifbar, als Moderator Holger Wienpahl (SWR) den Abend am Freitag eröffnete, Veranstalter und Gäste auf die Bühne bat und zum Schluss das Barockensemble Interchange ankündigte, das die Zuhörer unter anderem mit Auszügen aus der Filmmusik von „Leibniz – Chronik eines verschollenen Bildes“ musikalisch in die Zeit des 17. und 18. Jahrhunderts, in der der große Philosoph, Mathematiker und Universalgenie Gottfried Wilhelm Leibniz gewirkt hat, versetzte.
Ein Raunen bei der Ankunft des Meisters
Matija Chlupacek, selbst als Flötist im Film in einer kleinen Rolle zu sehen, erwies sich auf der Fruchtmarktbühne als sympathischer Interviewpartner und vor allem als virtuoser Musiker, der zusammen mit seinen Mitstreitern des Barockquintetts brillierte. Dass Chlupacek bei der – neben Reitz – zweiten Trägerin der Simmerner Ehrenbürgerschaft, Professorin Dorothee Oberlinger, studiert hat, stellte dann sogar einen Bezug zu Simmern her. Die verspielten Melodien und wunderbar leichten Klänge des Ensembles unterbrach dann plötzlich ein Raunen im Publikum. Der „Meister“ war eingetroffen. Edgar Reitz, am selben Tag in München aufgebrochen, erschien mit Ehefrau Salome Kammer nach achtstündiger Fahrt auf dem Festplatz. Die Musik verstummte, die Zuschauer klatschten spontan Beifall. „Das war eine tolle Atmosphäre als der Applaus aufbrandete. Das hat mich berührt“, bekannte Andreas Nikolay. In der ersten Zuschauerreihe setzte hektisches Stühlerücken ein, und der Regisseur nahm nach herzlicher Begrüßung, unter anderem durch „Leibniz“-Hauptdarsteller Edgar Selge, Platz. Zusammen mit seiner Frau Salome Kammer genoss er die Klänge des Barockkonzerts. Die HEIMAT EUROPA Filmfestspiele konnten nun „richtig“ beginnen.

Welche Bedeutung die Stadt Simmern für Edgar Reitz hat, ließ der gebürtige Morbacher im Anschluss das Publikum wissen: „Es ist das wirkliche Glück, hier zu sein. Alles, was ich denke und fühle, hat hier seinen Anfang genommen.“ Hier in Simmern ist er zur Schule gegangen. Die Postlichtspiele habe er damals verächtlich links liegen lassen, „weil dort in der Nachkriegszeit unsäglich kitschige Filme liefen.“ Seine Abiturprüfung bescherte ihm dann, dass er im Fach Religion – als einziger seines Jahrgangs – zur Prüfung ranmusste, erzählte Reitz dem Publikum. Ausgerechnet Religion. Einen Zugang zu dem Fach und letztendlich zu seiner Abiturprüfung habe er erst erhalten, nachdem er kurz zuvor Leibniz und dessen Theorien zum wissenschaftlichen Gottesbeweis gelesen hatte. Das habe er zu seinem Prüfungsthema gemacht, „und bekam dafür glatt einen Einser“, schmunzelte Reitz und schlussfolgerte: „Da hab‘ ich mir gedacht, da möchte ich doch dem Herrn Leibniz in meinem Leben irgendwann danken.“
Hat er dann auch, wenn auch erst im hohen Alter. „Leibniz – Chronik eines verschollenen Bildes“ habe sich allerdings als schwere Geburt herausgestellt, nach Unterbrechung durch Corona und allerlei anderen Hürden. „Ich habe ehrlich gesagt die Hände überm Kopf zusammengeschlagen“, berichtete der ebenfalls anwesende Drehbuchautor Gert Heidenreich auf die Frage von Moderator Wienpahl, wie er denn auf die „Leibniz“-Idee von Edgar Reitz reagiert habe. „Ich ahnte, was für eine Arbeit auf uns zukommen würde.“ Vielleicht musste Edgar Reitz erst ein hohes Alter erreichen, um sein Projekt umzusetzen. „Edgar Reitz ist ein großer Philosoph“, betonte Heidenreich. Gleichwohl betonte Reitz: „Wir wollten keinen gedankenschweren Philosophenfilm machen.“ In „Leibniz“ geht es um ein Portrait, dass dieser von sich anfertigen lässt. „Auch wir Filmemacher machen Portraits“, führte Reitz aus. „Welche Wahrheit, welche tiefe Erfassung einer Person kann ein einzelnes Bild hervorbringen?“ „Welche Wahrheit kann ein Film?“
Gebannt hingen die Zuhörer an seinen Lippen. Moderator Holger Wienpahl warf treffend ein: „Wenn ich Sie so reden höre, sind Sie so unfassbar jung.“ Salome Kammer hatte eine Erklärung. Wann immer es um Film, ums Drehen gehe, zeige Edgar Reitz große Leidenschaft, Engagement und dabei große Vitalität. „Es fließt dann so viel Energie aus ihm heraus.“ Mit einem Augenzwinkern fügte Kammer an: „Er braucht halt artgerechte Haltung, er braucht das Drehen.“ Und prompt schob der Regisseur einen weiteren jener monumentalen Sätze nach, mit denen er sein Publikum stets fasziniert: „Leinwand und Mensch bilden ein Ereignis. Film ist nicht auf der Leinwand, sondern in den Köpfen und Herzen der Menschen – das ist die Projektionsfläche.“


Sommer, Sound & Kultur – „Forever Young“ zwischen Weinbergen, Bühnenlichtern und Festivalbeats
In dieser Sommer-Episode nehmen wir euch mit auf eine bunte Tour durch die kulturellen Highlights von Rheinland-Pfalz! Von tiefgründigen Filmen beim Heimat Europa Filmfest in Simmern über hochkarätige Lesungen bei den Westerwälder Literaturtagen bis hin zu Open-Air-Konzerten und Theater unter freiem Himmel – es gibt einiges zu entdecken. Lust auf Kino unter freiem Himmel mit Leibniz-Philosophie im Hunsrück? Oder lieber ein Glas Wein in der Moselregion beim 40. Mosel-Musikfestival? Wie wär’s mit Jazz, Joy & leendären Acts in Worms? Egal ob Musik, Literatur, Film oder Theater – für jeden Kultur-Fan ist was dabei.
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(*) außer Special Events
Jasmin Tabatabai ist Jurorin für den EDGAR 2025.

Das Team freut sich auf die HEIMAT EUROPA Filmfestspiele 2025
und wünscht Ihnen gute Unterhaltung!
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